Raritätenprobe 2016

Die Jahre mit der „6“ und der Mann mit der „66“ lautete das Motto meiner diesjährigen Raritätenprobe. Aus den 6er Jahren hatten wir 1906, 1916, 1926, 1936, 1946, 1956 und 1966 im Glas. Dazu kamen aus 1950, meinem Geburtsjahr, 9 Magnums.

Solch eine Probe kann man natürlich nicht einfach mal so zusammenkaufen. Sie entsteht eigentlich über Jahrzehnte und setzt perfekte Lagerung voraus. Und trotzdem würde ich mich nicht als Weinsammler bezeichnen. Ich kaufe gerne Wein, aber ich bin auch neugierig. Wenn ich einen spannenden Wein irgendwo ergattern kann, dann will ich auch wissen, was in der Flasche drin ist. Da ist es dann gut, wenn man von einem Wein mehrere Flaschen ergattern kann. Da hat dann auch mal eine Flasche die Chance, sich bei guter Pflege ein paar Jahrzehnte zu entwickeln.

Das malerisch am Rhein gelegene Landhaus Mönchenwerth war der Ort des Geschehens. Dort wartete Oli bereits mit dem Apero auf uns, einem 2005 Dhron Hofberger Reserve vom Weingut Adam aus der Doppelmagnum. Nur 700 Flaschen gab es von diesem Wein. Wir tranken die #695, eine von nur zwei Doppelmagnums. Ich hatte diesen Wein 2007 im Monkeys kennengelernt, empfohlen von Billy Wagner, der damals hier in Düsseldorf als Sommelier und begnadetes Wein-Trüffelschwein eine Weinkarte mit reichlich Entdeckungen auf die Beine stellte. Das war jetzt immer noch ein sehr faszinierender Wein, sehr mineralisch, traumhaft balanciert mit toller Extraktsüße und guter Säure. Letztere hätte ich mir etwas kräftiger gewünscht, um die intensive Fruchtsüße dieses trocken ausgebauten Weines besser zu balancieren. Aber diese Doppelmagnum zeigte – Jammern auf verdammt hohem Niveau – das Schicksal vieler Weine aus so warmen Jahren wie 2005. Sie gehen halt mit der Zeit etwas in die Breite – WT94.

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Also habe ich vor 8 Jahren mutig zugegriffen, als ich zwei Flaschen 1956 Henkell Royal, der Jubiläumscuvée zum 100jahrigen Bestehen des Hauses Henkell, erstehen konnte. Die erste dieser Flaschen machte 2013 auf unserer Cellar Devils Probe mit Jeff Leve Furore und zeigte damals sogar noch deutliches Mousseux. Die zweite Flasche hier war etwas weiter, das Mousseux nur noch als feines Prickeln am Gaumen spürbar. Was aber blieb war die wunderbare, reife Champagnernase mit bretonnischen Salzkaramellen und Brioche, dazu am Gaumen generöse Fülle. Hätte in jeder Probe reifer Champagner eine gute Figur gemacht – WT94.

Tradition hat seit langen Jahren, dass mein Freund Jörg Müller aus Sylt unsere Probe mit seiner genialen Gänseleber bereichert. Meist kommt die als Gugelhupf, diesmal als Törtchen. Dazu gehört natürlich ein entsprechender Süßweinflight, der diesmal nur zu 2/3 süß war. Im ersten Glas ein 1950 Graves Monopole in einer Vandermeulen-Abfüllung, sehr kräftig, karamellig, Orangen-Bittermarmelade, eher halbtrocken wirkend und sehr nachhaltig im Abgang – WT94. Dagegen hatte ich einen 1950 Graves Superieur in einer deutschen R&U Abfüllung gestellt. Der hatte erst einen irritierenden Fehlton in der Nase. Wer hier zu früh aufgab und ihn wegschüttete hatte Pech. Denn der Fehlton verschwand und es offenbarte sich ein sehr feiner, eleganter Wein mit toller Süße und guter Säure, der geradezu spielerisch am Gaumen tänzelte – WT95. Die bei R&U wussten damals schon, was gut war. Sehr überraschend der dritte im Bunde, ein 1950 Vouvray Clos le Mont 1er Tête von Ackermann-Laurence. Der war absolut trocken und dabei noch so frisch, sehr feinfruchtig und elegant. Einfach großer, trockener Vouvray mit noch reichlich Zukunft – WT95.

Wenn Menschen doch nur so gut altern könnten wie Wein. Aus einem der besten Kriegsjahre, dessen lange unzugänglichen Weine ihre damaligen Besitzer ziemlich genervt haben müssen, kam jetzt ein noch ausgesprochen vitales Trio Hundertjähriger ins Glas. Eigentlich unfair für den 1916 Margaux in der Pillet-Will Abfüllung, der von den beiden anderen Weinen schier erdrückt wurde. Das war ein immer noch so feiner Wein mit rotbeeriger Frucht, der sprichwörtlichen Margaux-Eleganz und guter Länge, getragen von guter Säure – WT94. Freude pur im Glas bei 1916 Lanessan, der richtig im Glas sang einmal mehr die große Klasse der Lanessans aus der damaligen Periode zeigte. Wirkte immer noch geradezu frisch mit traumhafter Frucht, enormer Kraft und gewaltiger Länge – WT97. Noch eine Ecke drüber der 1916 Malartic-Lagravière, der vor 10 Jahren in einer meiner Raritätenproben schon als 90jähriger begeisterte. Und nachdem ihn der mit Lob und hohen Punktern eigentlich geizige Neil Martin im Juli diesen Jahres nach einer Veranstaltung der Academie du Vin als „unequivocally one of most mesmerizing and moving Bordeaux wines that I have ever tasted. „ bezeichnete, war klar, dass die Zwillingsflasche jetzt hier ran musste. Lag übrigens wie der Lanessan seit ewigen Zeiten in meinem Keller, originalverkorkt und mit `bn` in einem für das Alter sensationellen Zustand. Faszinierend für das Alter nicht nur die immer noch dichte, intakte Farbe. Wunderbare Frucht in der Nase mit feiner Süße, aber auch mit viel Minze und Eukalyptus. Das hätte auch ein großer Kalifornier aus den 70ern sein können. Sehr kraftvoll der Auftritt am Gaumen mit sehr guter Länge. Baute enorm im Glas aus – WT98. Was wäre ich froh, wenn ich als Hundertjähriger noch so auftreten könnte.

Geradezu jugendlich wurde es danach. Ein Flight mit drei Neunzigjährigen war angesagt. 1926 war in Bordeaux ein Jahr mit kleiner, aber sehr hochwertiger Ernte. Die Weine waren sehr tanninreich, langlebig, aber auch mit genügend Frucht. Kein Wunder, dass die Vandermeulens, die seinerzeit nur die besten Weine aus den besten Jahrgängen unter ihrem Namen abfüllten, auch hier zugriffen. Ein enges Kopf an Kopf Rennen gab es in diesem Flight zwischen den beiden Vandermeulen Weinen. Der 1926 Cheval Blanc VDM startete erst leicht morbide mit ersten, oxidativen Noten, legte dann aber im Glas eine furiose Aufholjagd hin. Wurde immer offner, süßer, auch leicht portig mit dieser unvergleichlichen, geradezu dekadenten Opulenz großer, reifer Cheval Blanc, dazu mit dem unvergleichlichen Charme und der Eleganz von Cheval Blanc. Da gingen meine Bewertungen immer höher, bis bei WT98 mein Glas leer war. Bei solch einem Monument frage ich mich selbst oft, was die Wein-Bewerterei soll. Darf man vor solch einem Wein, der trotz dieses hohen Alters immer noch so viel zu erzählen hat und so fasziniert, nicht einfach still davor sitzen und glücklich sein? Ohne Zweifel absolute Perfektion der 1926 Latour VDM. Einfach ein schlichtweg atemberaubender, perfekter, sehr mineralischer, druckvoller, enorm kraftvoller Latour mit großartiger Struktur und unendlicher Länge, noch so jung und präsent. Immer noch mit guter Frucht, erster, feiner Süße und der für Latour so typischen, leicht bitteren Walnuss-Aromatik – WT100.

Bei diesen zwei Giganten nahm vom dritten Wein kaum jemand Notiz. Dabei war dieser 1926 La Garde Martillac in einer französischen Eschenauer-Abfüllung mit etwas ruppigerem Charme und deutlicher Säure durchaus noch gut trinkbar – WT88.

Wenn wir schon die 6er Jahre des letzten Jahrhunderts über die Probe verteilt hatten, dann durfte auch 1936 nicht fehlen, obwohl das ein unbedeutender, schwacher Bordeaux Jahrgang war. Aber dieser 1936 Giscours in einer deutschen R&U Abfüllung schlug sich sehr achtbar. Ein kleiner, aber sehr feiner, immer noch vitaler und gut trinkbarer Wein mit allen Kräutern dieser Erde – WT88.

50 Jahre sind kein Alter. Das zeigte nicht nur ein lieber Weinfreund in unserer Rund, der demnächst das halbe Jahrhundert voll macht, und von dem traumhafte Fotos zu dieser Probe stammen (danke, lieber Michael!). Das zeigte aus einer perfekten Magnum auch der 1966 Mouton Rothschild, den ich noch nie auch nur annähernd so gut im Glas hatte. Der wirkte so jung, so fröhlich, immer noch mit Röstaromen und mit der Mouton-typischen Aromenmischung aus Cassis, Minze, Sattelleder und Bleistift. Wunderbare, dekadent-süße Frucht, einfach ein begeisternder Saufwein auf allerhöchstem Niveau, bei dem jedes Glas zu klein war – WT96.

Und damit kamen wir zum ersten Flight einer großen Parade von Magnums aus meinem Geburtsjahr 1950. War das jetzt der Flight des Abends? Schlichtweg perfekt zeigte sich der 1950 Ausone mit der typischen, lakritzig-kräuterigen Aromatik, so dicht, so komplex, geradezu Tiefgründig, sehr mineralisch, dabei eher maskulin Richtung Pauillac, aber auch mit betörender Süße und gewaltiger Länge am Gaumen. Wieder, wie im letzten Jahr aus einer perfekten 1tel, ein Wein der Marke „sprachlos“ – WT100. Im Nachbarglas meine bisher beste Flasche des 1950 Canon. Diese perfekte Magnum mit Füllstand ‚in’ hatte mir „Weintrüffelschwein“ Uwe Bende aus einem nordfranzösischen Keller besorgt, wo sie seit dem damaligen Kauf unbewegt unter besten Bedingungen gelegen hatte. Dadurch wirkte der Canon noch so unglaublich jung und so präsent mit traumhafter, rotbeeriger Frucht. Zeigte bei aller Kraft und dem noch immer voll intakten Tanningerüst eine betörende, Richtung Cheval Blanc gehende Eleganz – WT97.

Zweimal Cheval Blanc hieß der nächste Flight. Einmal in einer Händlerabfüllung, einmal in der Chateauabfüllung. Beide Magnums in sehr gutem Zustand und schon sehr lange in meinem Keller. Rabenschwarz der 1950 Cheval Blanc aus der Hanapier Magnum. So habe ich den 50er Cheval schon oft erlebt, ein sehr dichtes, explosives, kräuteriges Konzentrat an der berühmten Grenze zwischen Genie und Wahnsinn. Auch hier deuteten die Farbe und erste, oxidative Noten erst eher Richtung Wahnsinn, aber dann kam immer mehr diese hedonistische, portige Süße und die Waage neigte sich mit zunehmender Luft immer mehr Richtung Genie. Ein enorm kraftvoller, dichter, konzentrierter Cheval Blanc, ein Monster, dass immer mehr Charme entwickelte. So stieg auch meine Bewertung immer höher und endete bei WT98. Völlig anders der 1950 Cheval Blanc in der Chateauabfüllung aus einer 1995 auf dem Chateau neuverkorkten Magnum, die kurz darauf in meinem Keller landete. Nicht so dicht die Farbe, süßer, eleganter, fruchtiger mit unendlichem Schmelz, einfach dekadent lecker, als ob diesen 50er jemand mit 47er gefälscht hätte – WT100. Wahnsinn!

Als Solitär kam dann mein persönlicher Lieblingswein aus 1950 ins Glas, 1950 La Mission Haut Brion aus einer ebenfalls perfekten, vor über 20 Jahren erworbenen Magnum. Bei dem stimmte einfach alles. In der Nase tabakig-teerige Mineralität, Cigarbox, altes Sattelleder, Kräuter, Minze, ein Hauch Eukalyptus, am Gaumen immer noch kraftvoll, aber auch mit feinstem Schmelz und Süße – WT100.

Klar konnten die beiden nächsten Magnums dem legendären La Mission nicht das wasser reichen. Doch zeigten beide auf eindrucksvolle Art und Weise, wie gut der Jahrgang 1950 in Pessac war. Um den Eleganzpokal des Abends schien sich der 1950 Domaine de Chevalier mit Cheval Blanc streiten zu wollen. Der war so fein, so elegant, geradezu tänzerisch am Gaumen mit feinem Schmelz und schöner Mineralität, immer noch so vital und voll da – WT96. Erstaunlich die Qualität und das Standvermögen dieses Weines wenn man bedenkt, dass das Domaine de Chevalier 1945 massiv von Frösten betroffen war, und die Weinberge teilweise neu bepflanzt werden mussten. Überraschend auch der kernige, kräftige, druckvolle, noch so jung erscheinende 1950 Pape Clement, der noch enormes Zukunftspotential zeigte und mich schwer beeindruckte – WT96. Die Weinberge von Pape Clement waren 1937 von einem Hagelsturm verwüstet und erst Jahre danach vom neuen Besitzer des Chateaus wieder bepflanzt worden. Das was wir hier vor uns hatten, war das Ergebnis junger Reben. Hat da jemand gesagt, Wein von jungen Reben kann nicht altern?

Im letzten Flight zeigte der 1950 Daugay aus St. Emilion eindrucksvoll, dass in großen Jahren auch vermeintlich kleinere Chateaus punkten können, vorausgesetzt, man ist kein Etikettentrinker. Aus der Magnum war dieser Wein noch so jung in der Farbe und der gesamten Anmutung, mit feiner, rotbeeriger Frucht, dezentem Minzton und immer noch intaktem Tanningerüst für eine längere Zukunft – WT94. Da kam der 1950 Talbot nicht mit, wie auch insgesamt die Weine vom linken Ufer in 1950 deutlich schwächer ausfielen als auf dem rechten Ufer. Aber immerhin war ein reifer, eleganter, weicher, sehr schön zu trinkender Schmeichler – WT90.

Fehlten da nicht noch zwei 6er Jahrgänge zwischen 1906 und 1966? Die kamen jetzt im letzten Flight. An einen großen, reifen Port erinnerte der 110 Jahre alte Senior unser Probe, ein 1906 Muscat de Frontignan von Mazet, Salmon & Cie, ein Vin Doux Naturel aus dem Languedoc. Der war einfach nur schön, so fein und elegant mit süßer, roter Frucht und legte sich wie Seide auf den Gaumen – WT94. Deutlich alkoholischer im Vergleich mit Orangenschalen und generöser Süße, balanciert durch feine, reife Säure der 1946 Livadia White Muscat aus der Massandra Collection von der Krim – WT93.

Klar, nach dieser rundum gelungenen Probe ohne Ausfälle mit Flaschenglück ohne Ende wich auch die Anspannung von Oliver Speh, der uns als Maitre de Plaisir wieder perfekt verwöhnte. Nicht zu vergessen Guy de Vries mit seiner Küchenbrigade, die an diesem Abend kochten, als seien wir alle von Michelin, und die perfekte Servicebrigade unter Leitung von Sascha Bürgel.