Oktober 2014

Der 300-Punkte-Lunch

Trimbach ist nicht gerade der Nabel der Welt. Wer hier als Gastronom erfolgreich sein möchte, der muss schon richtig was bieten. Und genau das tut Arno Sgier, Patron und Küchenchef dieses sehr gastlichen Hauses.

Wir waren auf dem Weg vom Flughafen Zürich nach Bad Bubendorf zu René Gabriels 34*34 Probe. Da lag die Traube Trimbach quasi auf dem Weg und ein kulinarischer Halt hier war absolute Pflicht. Wir hatten viel erwartet, aber es kam noch besser.

Ein außerweltlicher 300 Punkte Lunch wurde das in der Traube in Trimbach. Begeistert gaben wir WT100 für Arno Sgiers 7gängiges, nur mittags serviertes Vorspeisenmenü. Das war ganz großes, kulinarisches Kino. Und natürlich haben wir dazu tief in der wohl deutlich über 1000 Positionen umfassenden, sehr gastfreundlich kalkulierten Weinkarte gegraben. Sofort fiel mir natürlich ein 2004 Meursault Perrières von Coche Dury ins Auge. Der musste es sein, doch ließen wir uns sehr leicht überreden, stattdessen die allerletzte Flasche des 2002ers (nicht auf der Karte) zu nehmen. Den durfte ich hier 2009 schon mal trinken, war hin und weg und notierte: da kommt noch mehr. Das „mehr“ hatten wir jetzt im Glas. Was für atemberaubender, explosiv-mineralischer Wein mit süchtig machender Traumnase und perfekter, sehr präziser Struktur am Gaumen. Klar, auch da waren WT100 fällig. Solch einen Traumstoff nicht als einer von 20 Trinkern in einer kleinen, viel zu schnell zu warmen Probenpfütze, sondern als einer von Zweien(!) aus großen Gläsern, rechtzeitig dekantiert und perfekt temperiert mit all seinen Facetten erleben und genießen zu dürfen, das war wie Ostern und Weihnachten zusammen. Konnte das in Rot so weitergehen. Ja, es konnte. Hellauf begeistert hat uns der schlichtweg perfekte 2005 Chambertin Clos de Bèze Vieilles Vignes von Pierre Damois, der einfach geile Frucht und burgundische Pracht und Fülle mit betörender Eleganz und unglaublichem Tiefgang verband. Auch das waren ohne Wenn und Aber klare WT100. Zweimal Burgund in Perfektion. Und wir waren rundum glücklich und zufrieden. Die Traube Trimbach mit ihrer aromenstarke Küche und der außerweltlichen Weinkarte lohnt auch den weitesten Weg.

Im Spielzeugladen für Grosse Jungs

Das ist schon unglaublich, was Jürg Richter da in der Farnsburg, die er seit ein paar Jahren mit seiner Frau Susi selbst bewirtschaftet, auf die Beine gestellt hat. In sieben(!) Kellern schlummern wohlfeile Raritäten. Da kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr raus. So ein richtiger, riesengroßer Spielzeugladen für Grosse Jungs.

Wir waren mit René Gabriel im Rahmen der Herbst-Semesterprobe auf die Farnsburg gekommen. Eigentlich war alles organisiert, ein Mittagessen garniert mit Apero, zwei roten 94er Großflaschen und einer Sauternes Doppelmagnum. Doch statt Apero fielen etliche von uns erstmal über den Keller her. Zu spannend, zu reizvoll war all das, was da lag. Dazu noch ein großes Trouvaillen-Regal mit Weinen, die aus schlechten Jahren, ohne Etikett oder mit schlechteren Füllständen waren, dafür aber zu Preisen, bei denen man einfach nicht widerstehen konnte.

Hier ein paar Momentaufnahmen dieser wunderbaren Weine, von denen ich bestimmt einige vergessen habe. Absolut genial und noch so jung der 1978 Mondavi Cabernet Sauvignon Reserve, ein Top-Bordeaux aus Kalifornien, sehr minzig, ein Hauch Eukalyptus, Sattelleder, druckvoll und lang am Gaumen – WT95. Gefiel mir besser als der 1987 Mondavi Cabernet Sauvignon Reserve, der insgesamt älter wirkte und längst nicht diesen aromatischen Druck besaß, aber das war Jammern auf hohem Niveau – WT91. Ein Knaller natürlich der noch so junge 1989 Heitz Martha´s Vineyard, der in atemberaubendem Tempo in den Gläsern verdunstete. Wie schön, dass davon jemand gleich noch eine zweite Flasche bestellte. Beide sicher auf WT95+ Niveau, und das ‚+’ steht für eine lange Zukunft und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Wein weiter zulegt. Nicht ganz so dramatisch, dafür eleganter, feiner der 1990 Stag´s Leap Cask 23, von dem es auch noch eine weitere Flasche gab – Wt94. Aus der Trouvaillen-Krabbelskiste kam ein wunderschöner 1969 Corton Renardes von Jean Bridron mit generöser Süße – WT92. Irgendwann stellte jemand eine 1968 La Mission Haut Brion aus der ½ Flasche vor mich und schaute mich erwartungsvoll an. Das war ein kleinerer La Mission, reif, aber immer noch vital mit der klassischen Cigarbox-Aromatik, ledrig, mineralisch und in der Qualität für das unterirdische Bordeaux-Jahr schier unglaublich – WT89. Auch vom 1966 Chateau Palmer konnte ich einen guten Schluck ergattern. Der ist seit etlichen Jahren reif, hält sich aber mit burgundischen Konturen und feinen Trüffelnoten auf sehr hohem Niveau – WT95. Und wie findet man raus, wer sich hinter den manchmal kryptischen Namen bei Cellartracker verbirgt? Beim 1983 La Romanée von Bouchard war das ganz einfach. Der edle Spender hatte seinen Wein schon gepostet, zusammen mit meiner Vermutung, dass hier Herr Chaptal mitgemischt hat. Süße Kandisnase, am Gaumen prächtige Fülle, feine Süße und gute, balancierende Säure. Reif mit etwas Unterholz, aber für den Jahrgang höchst erstaunlich – WT93. Aber La Romanée ist ja auch nicht gerade die schlechteste Lage. Aus dem Trouvaillenregal habe ich mir dann noch aus Wineterminators Geburtsjahr einen etikettfreien, aber gut gefüllten 1950 Ducru Beaucaillou gegönnt. Wow! War das ein seidiger, eleganter Charmebolzen, immer noch mit guter Frucht und feiner Süße im langen Abgang – WT93. Zwischen den 94er Impis entdeckte ich beim Essen dann noch den 1987 Opus One, einen inzwischen etwas rustikal wirkenden, sehr reifen Opus alter Schule, der die jugendliche Fruchtigkeit bereits verloren hat und keine allzu große Zukunft mehr hat – WT92. Weich, fein, sehr minzig und eleganter als Martha´s der 1975 Heitz Fay Vineyard – WT94.

Höchst erstaunlich ein 1950 Larrivet Haut Brion Blanc. Die güldene Farbe und in der Nase die Crême Brulée eines großen Sauternes, am Gaumen trocken wie ein ‚Y’ mit erstaunlicher Kraft und Fülle, immer noch frisch mit guter Säure – WT95. Bei gereiften, trockenen weißen Bordeaux scheint es nur hop oder top zu geben, entweder Mist oder groß. Der hier war verdammt groß. Gut gefiel mir auch ein 1978 ‚Y’, der nicht nur sehr kräftig war mit erdiger Mineralität, sondern auch absolut trocken in der Nase und am Gaumen – WT92.

Aus der Krabbelskiste kam dann noch ein nicht sonderlich gut gefüllter 1926 Latricières Chambertin. Der hatte eine dichte Farbe, immer noch Kraft, wirkte aber ziemlich pilzig – WT82. Da setzte der Hausherr dann doch eher auf eine perfekte Flasche 1929 Pommard von Eugenie Langeron, die mir beim Kellerrundgang sofort aufgefallen war. Das war reifer Burgunder vom Allerfeinsten ohne Alterstöne, einfach mit burgundischer Pracht und Fülle und verschwenderischer, aber feiner Süße, ein großer Burgunder zum Niederknien – WT96.

Die Spezialität von Hausherr Jürg Richter sind Sauternes bis weit ins vorletzte Jahrhundert. Und da ich jetzt schon mal hier war, wollte ich als Abschluss mit dem Häuflein noch hier verbliebener Aufrechter noch einen Sauternes aus meinem Geburtsjahr trinken. Die Empfehlung des Hausherrn war ein 1950 Suduiraud mit geiler Fülle und konzentrierter Süße, sicher auf WT97 Niveau, wenn sich da nicht immer stärker ein Kork eingeschlichen hätte. Also Plan B, ein 1950 Lafaurie Peraguey aus einer perfekten Flasche. Der war so fein, so elegant, so balanciert und stimmig, nicht nur in der süchtig machenden Nase mit Toffee, bitterer Organgenmarmelade und Crême Brulée, sondern auch am Gaumen, wo er bei aller Eleganz einen irren Druck entfaltete – WT97. Ein großartiges Erlebnis und eigentlich der perfekte Abschluss. Aber da kam noch jemand mit 1983 La Mission Haut Brion aus dem Keller. Klar, für diesen Ausnahmewein machten wir noch eine Ausnahme. Ein Phänomen dieser Wein. Der gilt schon seit ewigen Zeiten als rei, will aber einfach nicht altern und legt stattdessen immer mehr zu. Aus dieser Flasche hier war er noch so jung, so ätherisch und mineralisch mit unglaublicher Länge – WT96. Ob der dem 82er noch irgendwann an den Kragen will? Was ich will, weiß ich. Noch mal hin in diese irre Farnsburg. Am liebsten mit vier Wochen Vollpension und einer Drink Flatrate.

Das große Coravin - WeinSchlachtfest

Greg Lambrecht hatte wenige Wochen vorher hier in Düsseldorf das neue Spielzeug für Weinliebhaber vorgestellt. Beliebig über längere Zeit aus Flaschen ohne Oxidation glasweise Wein abzapfen zu können, das klang unglaublich verlockend. Ausgerüstet mit dem Coravin und reichlich Argon Patronen trafen wir uns an einem Sonntagmittag im Landhaus Mönchenwerth. Jeder von uns hatte geschleppt, was er an Flaschen tragen konnte. Schließlich wollten wir die ja nicht austrinken, sondern eben nur anzapfen. Den Zapfmeister spielte übrigens mit Bravour Restaurantchef Sascha Bürgel.

Doch erst einmal gab es einen famosen Apero. Wer an Keller denkt, der denkt an G-Max und an Hubacker. Was wie hier im Glas hatten, war 2004 Kirchspiel GG von Keller, der vielleicht größte Wein, den Klaus Peter Keller im Riesenjahr 2004 produziert hat. Ich hatte diesen 2004 Kirchspiel schon einmal im Juni aus einer herrlichen Magnum gehabt. Das war damals wie jetzt auch ein schlanker, hoch eleganter Wein, sehr finessig mit feiner Frucht, mineralisch, aber auch minzig, noch absolut taufrisch. Damals habe ich WT95 für die Magnum gegeben. Hier und heute war (nicht nur) ich hin und weg, da waren WT96 fällig.

Und los ging es mit dem Coravin. Zuerst waren die alten Hunde dran. Bei den Notizen fasse ich mich etwas kürzer. Ein 1953 Volnay in einer Cruse Abfüllung war sehr fein und elegant mit süßem Schmelz, burgundische Fülle und schöne Länge – WT93. Der 1959 Pommard von Cruse war kerniger, kräftiger mit noch viel Druck, aber auch etwas rustikal – WT92. Leicht oxidativ wirkte leider der 1959 Clos de Vougeot von Cruse mit dunkler Farbe, herb in der Aromatik mit leicht lakritziger Kräuternote – WT91. Clos de Vougeot aus diesem Traumjahr geht sicher deutlich besser. Aber ich habe insgesamt mit Cruse-Abfüllungen aus Bordeaux deutlich bessere Erfahrungen gemacht als mit Burgundern.

Der 1959 Chateauneuf-du-Pape La Bernardine von Chapoutier aus einer schlecht gefüllten Hochrisikoflasche hatte eine überreife, oxidierte Madeiranase, der Gaumen war deutlich besser, sogar generös mit lakritziger Süße – WT83. Ein 1959 Beaune Les Grèves 1er Cru von Bachmann in einer Abfüllung für die Bremer Eiswette hatte eine sehr feine, betörende Nase, war immer noch so fruchtig und elegant mit schöner Süße am Gaumen – WT93. Sehr erstaunlich ein 1953 Gevrey Chambertin von Thomas Bassot aus einer Risikoflasche mit 8,5cm Schwund. Der war noch so kräftig und dicht mit wunderbarem Schmelz und Länge – WT94. Erstaunlich vital für einen fast 100jährigen Wein mit klarer, heller Farbe auch ein 1919 Nuits 1er Cru mit 9 cm Schwund aus einer unbekannten Händlerabfüllung, immer noch gut trinkbar – WT88. Riesenüberraschung ein 1947 Aloxe Corton von Dupart Ainé, ein großer, kompletter, immer noch so jung wirkender Burgunder mit reichlich Süße, Fülle und Schmelz – WT96. Diese Flasche war mal wieder der beste Beweis dafür, dass bei alten Burgundern nicht unbedingt der große Name und die große Lage entscheidet, sondern die großartige Flasche.

Noch ein offenes Wort zum Thema Coravin. Mit der Alterungsfähigkeit der einmal angezapften Flaschen haben wir keine guten Erfahrungen gemacht. Anscheinend haben die Korken alter Flaschen nicht genügend Elastizität, um sich wieder sofort komplett zu verschließen. Wer Weine mit dem Coravin glasweise trinken möchte, sollte sich sicherheitshalber auf maximal 30-40 Jahre alte Weine beschränken.

Und damit waren wir in der jüngeren Abteilung und starteten mit einer großartigen 89er Serie. Sehr überzeugend wieder der 1989 Beaucastel, der sich jetzt in perfektem Trinkstadium zeigt, animalisch, im positiven Sinne wild, sehr würzig, mineralisch, mit wunderschöner Süße – WT95. Dürfte sich auf diesem Niveau noch lange halten und überstand auch den Coravin-Eingriff klaglos. Noch eine Ecke drüber der 1989 Hermitage von Chave, der von allem noch etwas mehr hatte. Ein blutjunges Mörderteil, bei dem wir dann den Korken gezogen haben – WT97+. Der musste unbedingt komplett vernichtet werden. Also zogen wir den Korken und badeten in diesem Elixier, das im Glas enorm weiter ausbaute. Das galt auch für den hoch eleganten 1989 Margaux, der sich sehr jugendlich mit der berühmten Eisenfaust im Samthandschuh präsentierte. Ein großartiger, völlig unterschätzter Wein mit enormer Substanz und Potential – WT96+. Jede Suche wert und angesichts niedriger Parkerbewertungen sicher nicht überteuert.

Zweimal Kalifornien war angesagt. Noch so jung und kräftig war der sehr minzige 1987 Grgich Hills Cabernet Sauvignon, ein klassischer, großer Kalifornier mit niedrigem Alkohol aus den 80ern – WT94. Mit geiler, süßer Frucht und der klassischen Dillnote punktete der hedonistische 1991 Silver Oak Alexander Valley, auch der immer noch sehr jung und praktisch altersfrei wirkend – WT95.

Und dann kamen wir dank Coravin und dank unseres edlen Spenders noch zu einer spannenden Solaia Mini-Vertikale. Völlig anders als die heutigen Toskana-Granaten der eher schlanke, aber sehr elegante 1989 Solaia mit viel Zedernholz und einer deutlichen Paprikanote – WT92. Sehr fruchtbetont mit guter Säurestruktur der prächtige 1995 Solaia, der trotz fehlender Substanz mit seiner süßen Frucht einfach viel unkomplizierten Trinkspaß bereitet – WT93. Auch der 1996 Solaia hatte eine traumhaft feine, süße Frucht, besaß aber auch etwas mehr Struktur und Klasse, ein sehr balancierter, stimmiger Wein, der jede Suche wert ist – WT95. Und dann dieser 2001 Solaia mit süßer, etwas üppigerer Frucht und immer noch jugendlicher Röstaromatik, aber auch mit immer noch guter Tanninstruktur, mit reichlich Leder, Tabak, Zedernholz und hoher Mineralität, sehr komplex und lang – WT97. Möglich, dass da der noch etwas ungestüme, jugendliche 2004 Solaia auch mal hinkommt, ein toller Wein mit großer Zukunft – WT96.

Inzwischen wurde einer aus unserer Runde von seiner etwas ungeduldigen „Madamm“ abgeholt. Ersetzt wurde er aber schnell durch Patron und Küchenchef Guy de Vries. Schließlich gab es da ja noch ein paar anzuzapfende Flaschen. Aus Uwes Bendes unermesslichen Beständen kam noch ein überraschend großer Margaux, nur nicht vom gleichnamigen Chateau, sondern ein hochklassiger 1955 Boyd Cantenac, so fein, so elegant mit wunderbarer Süße, auf dem Punkt, aber ohne Alterstöne – WT95. War für Uwes glückliche Kunden sicher ein Mega-Schnäppchen. Und auch aus einer endlich mal wieder perfekten 1961 Gaffelière Naudes Flasche in Vedrennes Abfüllung durften wir auf WT96 Niveau noch ein paar Gläser Cheval Blanc für Schlaue abzapfen. Und mit einem außerweltlichen 2010 Domaine du Pegau Da Capo setzte Uwe dann noch einen atemberaubenden (fast) Schlusspunkt. Was für ein geiles Teil. Dicht, konzentriert, mit explosiver Aromatik und unglaublichem Tiefgang, lakritzig, würzig, ein T-Bone Steak vom Holzkohlengrill, superbe Frucht und reichlich Alkohol. Nur spürte man letzteren nur in den Beinen, den diese hedonistische Aromenbombe kam so elegant, fast grazil angeschlichen. Der hatte was von einer großen, edlen Raubkatze, und die WT100 verdient er voll. Da konnte einem die nachfolgende 1989 Pichon Comtesse richtig leid tun. Die zeigte sich vorsichtshalber ohnehin sehr verschlossen. Erdrückt worden wäre sie sonst ohnehin. Was kann man problemlos nach einem Da Capo trinken, außer Schnaps (nicht meine Welt)? Einen großen Port natürlich. Der 1970 Taylor Vintage Port war für immer noch so jugendlich mit geilem Marzipan, wie es Lindt nicht hinbekommt – WT96+. Hallelujah – jetzt war ich absolut bettreif.