Aller guten Dinge sind „die mit der Drei“

Meine diesjährige Raritätenprobe 2023 im Landhaus Mönchenwerth umfasste Weine aus den Jahrgängen mit der „Drei“ am Schluss. Kein einfaches Thema, aber es kamen viele gute und ein paar atemberaubende Weine ins Glas.

Wir hatten nicht nur viel Flaschenglück, sondern hatten auch großes Wetterglück. Auf der Terrasse von Mönchenwerth starteten wir bei spätsommerlichen Temperaturen und Sonnenschein mit dem Apero. Den Anfang machte eine geniale 1993 Moet & Chandon Cuvée 250ieme Anniversaire aus der Magnum, die, aus dem Jahrgang 1983 kommend 1993 zum 250jährigen Jubiläum von Moet & Chandon freigegeben wurde. Dafür hatte man wohl tief in den Keller gegriffen und das Beste vom Besten selektiert. Dieser Champagner war noch so jung, so frisch und lebhaft, sehr komplex mit exzellentem Mousseux, fantastischer Textur und großartiger Länge. Das war locker Dom Perignon Qualität, wenn nicht sogar darüber – WT97. Danach gab es zu Ehren von zwei Teilnehmern, die ihr 60. Lebensjahr vollendet hatten, noch zwei Flaschen 1963 Wehlener Sonnenuhr Auslese von JJ Prüm. Die erste Flasche aus diesem schwierigen Jahrgang war zwar gut trinkbar, zeigte aber deutliche Reife mit Petrolnoten – WT89. Die zweite Flasche wirkte deutlich frischer mit glockenklarer Frucht und feinem Süße-/Säurespiel – WT93.

Als ältester Wein der Probe, den Oliver Speh wieder wie alle Weine absolut gekonnt und meisterlich ins Glas brachte, kam ein 130jähriger 1893 Windesheimer Fels Riesling Spätlese von Karl Dielhenn II. von der Nahe, der noch in erstaunlich gutem Zustand war. Der muss in seiner Jugend eine gute Portion Restzucker gehabt haben, schmeckte jetzt aber knochentrocken mit guter Säure. Die Nase erinnerte zu Anfang an eine alte Bibliothek mit staubigen Büchern, wurde mit der Zeit aber immer freundlicher und zeigte sogar noch Anklänge von Frucht. Im Glas entwickelte sich der Wein sehr gut und zeigte sogar noch eine feine Cremigkeit. Da musste selbst der Weinbuchhalter in mir WT92 rausrücken. Das einmalige Erlebnis eines noch immer so lebendigen 130jährigen Weines liegt natürlich deutlich höher und lässt sich kaum in Punkten ausdrücken.

Darf alter Champagner schmecken und sogar noch richtig gut sein, auch wenn es inzwischen eher Stillwein ist. Die Frage konnte hier mit einem klaren Ja beantwortet werden. Der 100 Jahre alte 1923 Veuve Cliquot Ponsardin Dry hatte zwar kein Mousseux mehr. Aber er zeigte noch eine erstaunliche Frische und Lebendigkeit mit einem faszinierenden Pfauenrad an Aromen. Äpfel, Aprikosen, Zitrusfrüchte, Karamell und Mandeln. Mit erstaunlicher, fruchtiger Fülle war dieser Senior so balanciert, elegant und würzig mit feiner Süße und sehr guter Länge – WT96. Am Tisch wurde der Veuve Clicquot teilweise noch deutlich höher bewertet. Mit Pracht und Fülle überzeugte auch der 1943 Moet Chandon Cuvée Bicentennaire, das immerhin 50 Jahre ältere Gegenstück unseres Aperos. Der war noch ziemlich kräftig und mineralisch mit feiner Bitternote und etwas Süße im langen Abgang – WT96. Immer noch etwas Mousseux im Glas und schönes Prickeln am Gaumen brachte der 50jährige Jungspund, ein 1973 Ruinart Dom Ruinart Blanc de Blancs. Vom Stil her etwas schlanker war der Ruinart immer noch so frisch, sehr elegant und balanciert mit Karamell und nussigen Aromen – WT94.

Mein Freund und Kochlegende Jörg Müller hatte wieder seine geniale Varation von der Gänseleber mitgebracht. Traditionell stelle ich dazu immer drei große Süßweine. Der verschwenderische, bernsteinfarbene 1943 Caillou Crème de Tête aus Barsac war immer noch so frisch und verwöhnte mit toller Süße, mit Kumquats, Orangenzesten, Bittermandel und Crèpes Suzettes, der feine Schmelz durch gute Säure balanciert – WT97. Alles um Karamell drehte sich bei der sehr tieffarbigen, konzentrierten 1953 Steinberger Cabinet Edelbeerenauslese Faß 56 von den Staatsweingütern Eltville mit intensiver Süße, Tiefe und Komplexität. Auch wenn diese Weinlegende reif wirkte, dürfte sie noch problemlos weitere Dekaden altern – WT97. Mit der typischen Eleganz eines feinen Scharzhofberger Rieslings war der immer noch so frische, süße 1973 Scharzhofberger Eiswein von der Hohen Domkirche zwar hell in der Farbe, aber fülliger und reifer als ich ihn kenne, vielleicht in einer Art Übergangsstadium – WT95.

Weiter ging es mit einem spektakulären Trio reifer Rotweine. Kann ein hundertjähriger Wein so außerweltlich gut sein wie dieser 1923 Siran aus Margaux? Die Flasche hatte mit Original Kork einen Very Top Shoulder Füllstand und auf dem Etikett stand Grand Cru Exceptionel. Und während letzteres eine der typischen Übertreibungen der damaligen Zeit war, haben wir exakt das bekommen. Eine hocharomatische, elegante Traumnase, brillante, dunkle Farbe, schöne Rote Johannisbeere und Kirsche, Minze, Leder, so viel Tiefe und Länge, das war einfach unglaublich gut und sehr beeindruckend – WT98. Die Flasche war absolut authentisch. Während das wohl eine absolute Ausnahmeflasche war, zeigte der 1933 Vina Real Gran Reserva von CVNE die große Klasse älterer Rioja Weine von CVNE. Eine altersfreie, sehr würzige und elegante Schönheit, die sicher noch länger halten würde – WT96. Und aus dem besten der üblen Weltkriegsjahre hatten wir den 1943 Latour. Auch der war sehr beeindruckend, so elegant und balanciert mit schöner Frucht und der typischen Walnuss Aromatik. Er entwickelte sich sehr gut im Glas, war mineralisch mit feinem Schmelz und guter Länge und hatte genügend Reserven für noch etliche Jahre – WT96. Alte Latours gerade aus nicht so guten Jahren überraschen mich immer wieder.

Und dann kam eine Riesenüberraschung. Ich hatte diese Magnum 1943 Hermitage Rochefine von Jaboulet-Vercherre in perfektem Zustand vor langer Zeit auf einer belgischen Auktion gekauft und auf etwas ganz Besonderes gehofft. Und das bekamen wir. Was da aus dieser Magnum mit perfektem Füllstand und dichter, altersfreier Farbe kam, war schlichtweg atemberaubend und absolut perfekt. Mit explosiver Nase war das Nördliche Rhone vom Allerfeinsten, so unglaublich würzig, animalisch, speckig, rotfruchtig mit Lakritz, schöner Süße und fantastischer Länge. Dieser Wein war eine ideale Kombination aus der Kraft eines großen Hermitage mit burgundischer Pracht und Fülle. Da konnte es nur eine Bewertung geben: WT100.

70 Jahre ist nicht gerade jung für einen Wein, aber die besseren Gewächse aus diesem großen Jahrgang trotzen dem Alter und zeigen sich mit bestechender Eleganz. Eigentlich sollte der erste Wein in diesem Flight ein 1953 Angelus sein. Aber der entpuppte sich als einzige korkige Flasche der ganzen Probe. Also musste die Reserveflasche ran, ein 1953 Chambolle Musigny in einer R&U Abfüllung für die Bremer Eiswette. Dieser elegante Burgunder war ein betörender Charmeur mit betörender, rotbeeriger Frucht, feinem Schmelz und generöser Süße – WT95. Es war schwierig, zwischen den beiden anderen Weinen einen Favoriten zu finden. Beide, der 1953 Figeac in einer deutschen R&U Abfüllung und der 1953 Cheval Blanc in einer Händlerabfüllung waren in perfektem Zustand mit Very Top Shoulder Füllstand. Der noch so jung wirkende Figeac war etwas kräftiger und maskuliner, zeigte aber ebenfalls Eleganz, betörende Frucht und großartige Länge, einfach ein großer, kompletter, altersfreier Figeac – WT98. Der perfekt gereifte Cheval Blanc war ein flüssiger Traum mit der typischen Nase dieses Cheval Blanc Parfüms, feinster Frucht, seidiger Eleganz und verführerischer Süße – WT98.

Der zweite 1953er Flight brachte einen der Superstars der Probe, diesen absolut perfekten 1953 Haut Brion. Ich hatte diese Flasche (und ein paar weitere) vor über 12 Jahren aus dem tiefen, kalten Keller einer belgischen Familie gekauft, die jedes Jahr ein ganzes Fass Haut Brion erwarben, es von einem Händler abfüllen ließen und dann unbewegt perfekt lagerten. Qualitativ hielten diese Weine locker mit jeder Chateauabfüllung mit. Tiefe, dunkle Farbe, diese klassische, ätherische Nase mit Tabak, Teer und Cigarbox, entwickelte immer mehr Minze und Eukalyptus, so eine unglaubliche Kraft am Gaumen, aber auch Eleganz, Finesse und endlose Länge – WT100. Meine letzte Flasche des sonst so großartigen 1953 Latour-à-Pomerol zeigte zwar die opulente Fülle und Süße des Jahrgangs, aber leider aus dieser nur Mid Shoulder Flasche auch schon das Alter – WT94. Großes Glück hatten wir mit dem 1953 Latour, von dem ich schon in vielen Proben so viele, manchmal auch grenzwertige Flaschen hatte. Diese Flasche hier meine bisher mit Abstand beste mit einem perfekt gereiften Latour. Das war ein großer, klassischer Pauillac mit exzellenter Struktur, der klassischen Walnuss Aromatik, Bleistift Mineralität, etwas generöser Süße und sehr guter Länge – WT97. Latour in der Klasse kann noch Dekaden weiter reifen.

Und dann kamen wir nochmal zum schwierigen Jahrgang 1963. Und wenn bei Rotweinen irgendetwas immer noch geht, außer Portwein, dann ist das Burgund. Der berühmte 1963 La Romanée Grand Cru, das Gegenstück zu Romanée Conti, in diesem Jahrgang zum ersten Mal von Bichot abgefüllt, zeigte ziemlich viel Oxidation in der Nase. Aber dahinter und am Gaumen war so viel Substanz und Tiefe. Der La Romanée entwickelte sich im Glas, wurde immer besser trinkbar und zeigte eine großartige Länge – WT94. Noch eine Ecke drüber war ein 1963 Beaune von S.A. Leroy. Dieser wunderschöne Wein war zwar reif, aber keineswegs alt. Sehr fein und delikat die Nase mi roten Beerenfrüchten, sehr elegant und würzig mit generöser Süße und guter Länge – WT95. Ich liebe diese alten, immer so zuverlässigen Händlerabfüllungen von Leroy.

1973 ist auch so einfaches Jahr. 1973 Mouton Rothschild habe ich ausgesucht, weil es ein ganz spezieller Mouton ist. In 1973 wurde Mouton zum Premier Grand Cru aufgewertet. Baron Phlippe de Rothschild wählte für diesen Jahrgang ein Werk von Picasso, Bacchanale, von 1959 aus der Sammlung des Chateaus. Der Wein selbst ist nicht überragend, kann aber aus gut gelagerten Flaschen durchaus gut sein. Wir hatten eine solche Flasche mit gutem Füllstand und gesunder Farbe. Schöne rotbeerige Fruchtmit etwas Minze und Kräutern, keine Falten, sogar noch etwas Frische, elegant und balanciert, trank sich erstaunlich gut – WT92. Sehr gut gelungen, kräftig und druckvoll zeigte sich der 1973 Hermitage la Chapelle von Jaboulet Ainé. Mit schöner lakritziger und kräuteriger Aromatik, sehr guter Struktur, ohne Alter und mit burgundischen Konturen war das ein sehr gut gelungener Wein, der lang am Gaumen blieb – WT96.

1983 Ausone ist so ein richtiger Spätstarter, der lange gebraucht hat und jetzt immer mehr aufdreht. Enorm kräftig mit großartiger Struktur, würzig, mineralisch, entwickelt er im Glas eine schon fast opulente Fülle. Aber da kommt in den nächsten Jahren noch mehr – WT95+. 1983 Cheval Blanc ist einer meiner persönlichen Favoriten, der den Charme von Cheval Blanc mit enormer Kraft und Fülle verbindet. In den letzten Jahren habe ich ihn konstant mit WT98 bewertet. Hier hatte er in der Nase leider einen Stich, der das Gesamtbild auf hohem Niveau etwas trübte – WT95. Als Everybody´s Darling entpuppte sich der grandiose 1983 Lafleur. Ein fesselnder Wein, der die typische, würzige, lakritzig-kräuterige Aromatik mit geradezu dekadenter Süße und Opulenz verband – WT98.

Absolut spektakulär war der 1983 La Landonne von Guigal, dem ich lange Jahre als konzentriertem, tanninigen Monster nicht viel abgewinnen konnte. Aber jetzt nach 40 Jahren war der Knoten endlich geplatzt. Klar war der immer noch so kräftig und zeigte eine Art noble Rustikalität. Aber plötzlich drehte er jetzt auf und sprang mit seiner faszinierenden Aromatik förmlich aus dem Glas. So würzig, auch noch etwas animalisch mit Frühstücksspeck, Trüffeln, Unterholz und reichlich Minze packte er alle Sinne bis hin zum endlosen Abgang – WT100. Gegen dieses Kraftpaket wirkte der sehr minzige 1983 Heitz Martha´s Vineyard so elegant, balanciert und fast etwas zahm und schüchtern, ein feiner, sehr schöner, frischer Martha´s – WT96. Die dritte Flasche hätte der großartige, konstant mit WT97 bewertete 1983 Hermitage la Chapelle von Jaboulet-Ainé sein sollen. Aber da hatte ich im Keller wohl danebengegriffen und eine zweite Flasche des 73ers mitgebracht. Die legte aber auf die erste noch mal richtig eins drauf und verdiente die WT97, die sonst wohl der 83er bekommen hätte.

Im vorletzten Flight kamen drei meiner Lieblingsweine zum jetzt trinken. 1983 Latour hat alles, was man von einem großen Latour erwartet, feine Schwarze Johannisbeere, die so typische Walnuss Aromatik, Bleistift Mineralität und eine exzellente Struktur. Er ist voll und mit viel Genuss trinkbar, elegant mit sehr guter Länge und dürfte trotzdem locker noch 20-30 Jahre Zukunft haben – WT96. Das gilt ähnlich für diesen so ungemein charmanten 1983 Mouton Rothschild. Ein sehr eleganter, erotischer Wein mit der typischen Mouton Aromatik, ebenfalls voll und mit sehr viel Genuss trinkbar und bei guter Lagerung noch mit langer Zukunft – WT97. Ein toller Wert auch dieser aufregende, so typische 1983 La Mission Haut Brion mit dieser ätherischen Nase, mit Minze, Eukalyptus, getrockneten Kräutern, Tabak und Cigarbox. Ein sehr eleganter und balancierter, einfach kompletter, großer La Mission, kräftig, mineralisch mit toller Länge und ebenfalls langer Zukunft – WT97.

Drei Weine bei denen ich bei vernünftigen Preisen aus guter Herkunft immer noch zugreife.

Auch die letzten drei Weine zeigten beeindruckend, wie jung 40 Jahre alte große Wein sein können. 1983 Chateau Montelena zeigte sich als großer, klassischer Old School Kalifornier. Enorm kräftig, aber nicht im Stile der heutigen Boliden, sondern in bester Bordeaux Stilistik, sehr elegant mit saftiger, präziser Schwarzer Johannisbeere, so würzig und sehr minzig, mit sehr guter Struktur und guter Säure. Noch so frisch und voller Finesse war dieser komplexe Montelena mit wunderbarer Länge – WT97. Fast 30 Jahre hat dieser 1983 Sassicaia gebraucht, um aufzublühen. Jetzt zeigt er in nobler Stilistik mit geradezu aristokratischer Stilistik so kräftig und dicht, dabei sehr elegant, warum man ihn zurecht den Lafite Rothschild Italiens nennt. Wobei Lafite selbst in diesem Jahrgang mit dem wunderbaren Sassicaia, der noch Potential für lange Jahre hat, nicht mitkommt – WT96. Und dann war da last not least noch dieser atemberaubende, perfekt gereifte 1983 Chateau Musar aus dem Libanon. Diese klassischen Musars sind Wein Chamäleons, die ihr Erscheinungsbild mit Reife über Dekaden mehrfach ändern. Dieser 83er hier mit seiner tiefen, dichten Farbe und der intensiven Aromatik war so würzig und rauchig mit schönen, roten Früchten und Veilchen. Er zeigte bei aller Kraft viel Eleganz und Finesse, und war dabei so weich und schmeichelnd am Gaumen, aber mit superber Länge. Vom Stil her ähnelte er einem Wein von der nördlichen Rhone mit burgundischen Konturen. Wie der in 20-30 Jahren, die er locker schafft, wirkt? Wie ein großer Burgunder? Es lohnt, diese Musars gut zu lagern und über lange Jahre und Jahrzehnte zu verfolgen – WT97.

Und hier jetzt die Korken der Weine, alles kleine Kunstwerke, von Oliver Speh perfekt aufbereitet. Oliver beherrscht den Umgang mit alten und sehr alten Flaschen wie kein anderer. Er ist für mich sehr wesentlich für das Gelingen einer solchen Raritätenprobe.

Einzelfotos der Flights, die ich eventuell später noch einfüge, finden sich unter @wineterminator auf Instagram.