Tour de France

Gegen 17 Uhr sind die Radrennfahrer der Tour de France an diesem Samstag in Bordeaux angekommen. Sicher vor der Ankunft links mit sehnsüchtigem Blick auf Pessac.

Wir haben da gerade im Passion du Vin unsere eigene Tour de France gestartet in kleiner Runde mit perfekt gelagerten, halben Flaschen. Denn das ist der Vorteil dieser halben Flaschen. Man kann auch in kleinerer Runde eine große Probe machen. Das gelbe Trikot für den Sieger des Abends teilten sich der atemberaubende 1990 Latour und die unglaubliche Wiedergeburt des 45ers, der 1986 Mouton Rothschild, beide ohne Frage WT100. Knapp dahinter der 1983 Palmer. Sehr dicht das Verfolgerfeld mit 1996 Pichon Comtesse, 1990 Mouton Rothschild, 1995 La Conseillante, 1995 Ducru Beaucaillou, 1988 Pichon Baron und 2000 Giscours, keiner unter WT95.

Was für ein geiles Rennen.

Und hier die Details. Los ging es bei uns nach weißem Vorspiel mit einem kräftigen, spannenden 1995 Ducru Beaucaillou. Der war noch so frisch, jung und voller Leben. Er verwöhnte uns mit animierender, süßer, dunkler Frucht, war so würzig mit Minze und Zedernholz. Ein sehr eleganter, balancierter Ducru war das mit guter Zukunft – WT95. Und das ist gut so, schließlich war das jetzt die erste Halbe aus einer 24 Flaschen OHK, für deren weitere 23 Flaschen ich mir Zeit lassen kann.

Weiter ging es mit einem wunderschönen 2000 Giscours, der am Tisch viele Fans hatte und als deutlich jünger eingeschätzt wurde. Rechtzeitig war dieser Giscours nach einer längeren Schlafpause wieder voll auf Spur. So eine elegante, animierende, balancierte Schönheit, immer noch mit Röstaromen war das, mit Schwarzer Johannisbeere, Zedernholz, Zigarrenhülle und dunkler Schokolade. Mit guter Länge und Zukunft erinnerte er mich an den best ever Giscours, den großartigen 1970er – WT95.

Und einer in unserer Runde strahlte beim nächsten Wein besonders. War doch der grandiose 1983 Palmer nicht nur sein erster Palmer überhaupt, sondern auch noch einer aus seinem Geburtsjahr. Dieser vielleicht schönste Palmer zum jetzt trinken (1928 und 1961 nicht vergessen) war einfach der Inbegriff von Eleganz, so seidig und alle Sinne verwöhnend mit burgundischem Stil – WT97.

Ein Musterbeispiel für einen gut gereiften Pauillac aus 88 mit gewaltigem Potential war der enorm kräftige, dichte, muskulöse 1988 Pichon Baron. Der war vor zwölf Jahren (so lange habe ich die OHK nicht mehr angerührt) schon gut antrinkbar, hat inzwischen aber deutlich zugelegt. Dichte Farbe, pflaumige Frucht, auch Schwarze Johannisbeere, viele Kräuter, alte Ledertasche, Zedernholz und erdige Mineralität, so fleischig mit guter Säure und immer noch kräftigen, aber inzwischen reifen Tanninen, schöne Länge und immer noch große Zukunft – WT95+. Da werde ich noch mal auf die Suche nach gut gelagerten Großflaschen gehen.

1990 galt nicht als eines der besten Mouton Jahrgänge, aber dieser 1990 Mouton Rothschild hat sich in den letzten Jahren großartig entwickelt und wird das wohl noch eine Weile weiter so tun. Der sprühte nur so von Lebensfreude mit verführerischen Röstaromen, mit Cassis, Minze, Leder, einem Schuss Espresso und Bleistift Mineralität. Einfach sexy mit herrlichem Trinkfluss und „tout Mouton“ – WT96+.

Die 1996 Pichon Comtesse ist eine Art modernere Variante der 1986er Comtesse. Diese Flasche hier war eine meiner besten bisher. Sie wirkte wie eine Kombination aus dem Charme von Cheval Blanc mit der Struktur von Lafite Rothschild. Ich hoffe, das war keine Ausnahme, sondern der Anfang von 30 weiteren Jahren, in denen sich diese charmante, kräftige Comtesse mit ihrer verführerischen, dunklen Frucht und seidigen Eleganz von ihrer besten Seite zeigt – WT97.

Ein Spaßwein par Excellence war dann der gut entwickelt, reife 1995 La Conseillante mit süßer, rotbeeriger Frucht, auch am Gaumen mit süßer, generöser Fülle und weichen, reifen Tanninen. Aber da ist keine Eile angesagt. Wird sicher auf diesem Niveau noch länger halten und ist immer noch eine Suche wert – WT95.

Ein gewaltiges Monument war dann der 1990 Latour. Der hat sich über die letzten dreißig Jahre gewaltig verändert. Zu Anfang war das mit wilder, exotischer Aromatik ein genialer Spaßwein, mehr Kalifornien als Bordeaux. Doch mit den Jahren wechselte er immer stärker ins Charakterfach. Jetzt ist das ein ikonischer, kräftiger, typischer Latour mit gewaltiger Struktur, immer noch mit fantastischer Frucht und der typischen Walnuss Aromatik. Ja, das war absolute Perfektion. Sehr beeindruckend, dieser Latour, und nach einer Stunde in der Karaffe voll trinkbar, aber sicher noch mit 30+ Jahren Zukunft – WT100.

Und dann haben wir uns als krönenden Abschluss mal wieder an 1986 Mouton Rothschild rangetraut. Das war der wohl größte Jungwein meines Lebens. Von den Ankunftsproben im Frühjahr 1989 bis zu dem Frühjahr 1990 habe ich den in dieser atemberaubenden, einfach perfekten Fruchtphase bei wirklich jeder sich bietenden Gelegenheit damals im Caveau genossen. Quasi über Nacht gingen dann plötzlich bei diesem Superstar die Rollläden runter. Seitdem habe ich mir oft genug daran frustriert die Zähne ausgebissen. Und jetzt? Einfach megageil. Aus dieser Halben war der 86er immer noch blutjung mit unbändiger Kraft und tiefer, altersfreier Farbe. Aber er zeigte traumhafte, dichte Cassis Frucht mit viel Minze, einem Hauch Eukalyptus, unglaubliche Tiefe, Spannung und Länge. Der nahm mit seiner explosiven Aromatik alle Sinne in Beschlag und machte einfach sprachlos. Klar wird das bis zum absoluten Höhepunkt noch 5-10 Jahre dauern, aber das waren auch jetzt schon WT100, voll auf Augenhöhe mit dem Latour. Und natürlich unglaubliche Glücksgefühle bei mir. Schließlich habe ich den vor 34 Jahren in großen Mengen gekauft zu den damals im Vergleich geradezu lächerlichen Preisen. Und jetzt würde ich gerne anfangen, diese Weine zu genießen. Geht doch!

Als die Fahrer am nächsten Morgen an Pomerol vorbei weiterfuhren, träumten wir immer noch von unserer eigenen Tour de France, die sicherlich wiederholt wird.