Unglaublich! – Die vielleicht kleinste, größte Probe

Ganz spontan waren wir zusammengekommen an diesem Dezemberabend. Da die Runde sehr klein und fein war, gab es ein ganz simples Motto: Klasse statt Masse. Und da hier Seelenverwandte mit Zugriff auf tiefe, alte Keller zusammentrafen, geschah ohne weitere Absprache das schier Unglaubliche. Fünf absolut perfekte Weine trafen aufeinander, fünfmal WT100.

Los ging es mit dem wiederauferstandenen 1982 Cheval Blanc. Groß war der Cheval Blanc Ende der 80er, Anfang der Neunziger. Ein legendärer, viel gesuchter 100 Punkte Wein. Dann begann er sich zu verschließen. Aber Totgesagte leben bekanntlich länger, insbesondere wenn es sich um große Weine handelt. Geduld war einfach angesagt. Ich habe deshalb meine letzte OHK über 20 Jahre unberührt gelassen und erst im Herbst letzten Jahres zu meiner Raritätenprobe geöffnet. Das war wohl der richtige Zeitpunkt, denn jetzt hat dieser Cheval Blanc auch und gerade aus perfekter Lagerung wieder zurück zu seiner Traumform gefunden. Einfach perfekt war er, dieser Spagat aus Kraft und Eleganz. Traumhaft diese verführerische, leicht trüffelige Nase mit diesem unnachahmlichen Cheval Blanc Parfüm, diese faszinierende Finesse am seidig-eleganten Gaumen, gepaart mit ungeheurem, aromatischem Druck und endloser Länge, ja, das waren ganz klar wieder WT100. Und sicher hat dieser gigantische Cheval Blanc noch 20 Jahre vor sich.

Auch der zweite Wein war eine absolute Legende. Wer träumt nicht davon einmal den legendären 1945 Mouton Rothschild probieren zu dürfen. Ich hatte dieses einmalige Vergnügen schon mehrfach (Notizen in der Jahrgangsübersicht 1945 und in diversen Probenberichten). Allerdings wird das derzeit immer schwieriger und astronomisch teuer, da es echte 1945er in sehr gutem Zustand praktisch kaum noch gibt. Dafür bietet sich eine grandiose Alternative an. Als Moutons langjähriger Kellermeister Raoul Blondin, der schon den 1945er gemacht hat, den 1982 Mouton Rothschild aus dem Fass probierte, war er für ihn wie damals der 45er. Auch der 1982 Mouton Rothschild hat zur Entwicklung sehr lange gebraucht. Das ist heute ein so überwältigendes, perfekt strukturiertes Konzentrat, dicht, kraftvoll, Cassis pur, aber auch viel Minze und ein erster Hauch Eukalyptus, viel Sattelleder und die berühmte Bleistift-Mineralität, sehr druckvoll mit gewaltiger Länge, brillierte wieder als „neuer 45er“, ein Monument, das aus perfekter Lagerung noch 50 Jahre vor sich hat – WT100. Diese Flasche hier stammte aus absolut seriösem Keller und wurde seinerzeit in Subskription oder direkt bei Auslieferung gekauft.

Geht eigentlich WT100+? Nein, auch wenn ich manchmal versucht bin, so wie bei diesem atemberaubenden 1982 La Mission Haut Brion hier. Eigentlich sollte der schon letztes Jahr in meine Raritätenprobe mit der „2“, aber dafür hätten gefühlte 20+ Kisten bewegt werden müssen. Das war jetzt inzwischen passiert (Danke Thomas!) und die erste Flasche daraus war jetzt fällig. Was für ein unglaublich dichtes, jugendliches Konzentrat, das spontan einfach sprachlos machte. Das war einfach La Mission vom Allerfeinsten, natürlich mit der klassischen Pessac Aromatik, mit Tabak, Cigarbox, irrem Tiefgang und unendlicher Länge – WT100. Der dürfte sich über Jahrzehnte weiterentwickeln und perfekt in die legendären La Missions des letzten Jahrhunderts einreihen.

Der 1990 Latour war in seiner jugendlichen Fruchtphase ein perfekter, wilder, fruchtbetonter, großer Pauillac aus Kalifornien, ein Latour-untypischer, erotisch sinnlicher, hedonistischer Traumnahe der Perfektion. Dann wechselte er immer mehr ins Charakterfach und zeigt sich jetzt als in der genialen Kombination aus der Saftigkeit des 90er Jahrgangs und der Struktur eines großen, klassischen Latour mit der typischen Walnussnote als absolut großartiger, perfekter, typischer Latour, der die gewaltige Power mit erstaunlicher Grazie rüberbringt – WT100. Auch das ein Wein, der noch gewaltiges Alterungspotential hat.

Gewaltiger Schlusspunkt mit hohem Verwöhnaroma und mit Pracht und Fülle war dann ein 1995 Petrus. Dankenswerterweise habe ich die Entwicklung dieses Weines in den letzten 20 Jahren über viele Proben hinweg verfolgen können, wo er auf hohem Niveau immer großes Potential zeigte. Aber da man Potential nicht trinken kann, habe ich meine eigene Kiste immer zugelassen. Jetzt für diese Probe hier habe ich es gewagt und meine 6er Kiste aufgemacht. Der Petrus zeigte sich nach 28 Jahren endlich voll zugänglich mit gewaltiger Fülle und Dichte, mit opulenter, dunkler Frucht, sehr druckvoll und kräftig, aber auch verschwenderisch, dabei sehr elegant und präzise mit enormer Länge, dramatisch besser als auf allen Proben vorher und einfach perfekt. Warten macht bei großen Weinen einfach Sinn – WT100. Altern dürfte er in guten Kellern trotzdem noch sicher gut 30 Jahre.

Einen Schreck bekam ich, als ich im Internet einen Blick auf den aktuellen Preis dieses Petrus warf. €4440 standen da bei Lobenberg. Subskribiert hatte ich den 1995 Petrus seinerzeit für €150. Aber das galt in ähnlicher, nicht ganz so extremer Form für alle Weine dieser einzigartigen Probe. Wir konnten halt die „Rewards of Patience“ ernten. Und da die betreffenden Keller alles andere als leer sind, werden wir diese kleinste größte Probe hoffentlich in dieser oder ähnlicher Form in den nächsten Jahren wiederholen können. wiederholen können