Wie in alten Zeiten

Das Berens am Kai hat den Stern hergegeben und sich schlicht in „Am Kai“ umbenannt. Aber zu unserer große Best Bottle Ende Januar war alles wie in alten Zeiten. Holger verwöhnte uns mit einem wahrhaft genialen, großen Menü. Und die liebe Barbara zeigte wieder höchste Sommelier Klasse und zauberte aus den angestellten Weinen meisterliche Flights, die perfekt ins Glas kamen. Da staunten auch unsere Kölner Freunde, die unsere Runde aufwerteten.

Mit zwei überraschend hochklassigen Oldies startete unsere Probe. 1946 war kein schlechtes Bordeaux Jahr, wurde aber von 1945 und 1947 erdrückt. Wir starteten mit einem 1946 Vieux Certan aus dem Geburtsjahr unseres Freundes Dieter. Das war auch angesichts der Tatsache, dass Vieux Certan in den 40ern und 50ern grandiose Weine produzierte, kein allzu großes Risiko. Aus einer wohl gut gelagerten Flasche mit schlechtem Label, aber gutem Füllstand und gesunder, dichter Farbe überzeugte dieser sehr würzige Vieux Certan mit reifer Schwarzkirsche und pflaumiger Frucht, Schwarztee, Lakritz, dunkler Schokolade und schöner Süße. Im Glas entwickelte er sich immer mehr und stand schließlich wie eine Eins. Was für eine schöne Überraschung! Entsprechend gingen meine Bewertungen immer höher und erreichten schließlich WT97. Im anderen Glas hatten wir einen 1923 Margaux, der 1977 bei Withwam in England neu verkorkt worden war. 1923 war in Bordeaux ein Jahrgang mit leichten, eleganten Weinen, von denen die wenigsten sehr lange überlebten. Dieser 101 Jahre alte Margaux war da wohl eine Ausnahme. Immer noch voller Leben war er und sehr würzig, wobei Tiger Balm am Tisch aufkam. Dazu war er sehr elegant und balanciert, ein typischer Margaux, mit feinem Schmelz und Süße, perfekt gealtert ohne allzu viel Runzeln und ein echter Altweintraum – WT94.

Alle Weine kamen natürlich blind ins Glas. Großes Rätselraten beim ersten Wein des nächsten Flights? Wer von uns hatte denn diesen Giganten angeschleppt, und was konnte das sein? Und das war eben der Vorteil einer Blindverkostung. Wer würde sich schon trauen, mit Blick aufs Etikett einem 1961 Domaine de Chevalier 98 Punkte zu verpassen. Aber der war aus perfekter Flasche einfach genial. Immer noch so jugendlich, so dicht und kräftig, ungemein druckvoll, sehr mineralisch und mit feiner Süße, die auf gewisses Alter hindeutete. Einfach sehr nahe an der Perfektion, deshalb voll gerechtfertigte WT98. Das mag eine absolute Ausnahmeflasche gewesen sein, aber ich kann mich noch gut an die Domaine de Chevalier Giganten aus 1928 und 1929 erinnern. Domaine de Chevalier altert sehr gut. Ich gehe jetzt auf die Suche nach gut gelagerten 61ern, werde dann aber wohl gegen einige aus unserem Kreis bieten müssen. Eigentlich hätte der 1955 Haut Brion diese Klasse zeigen müssen. Aber der war leider etwas das Gegenteil der Ausnahmeflasche. Vor allem die Nase irritierte mit deutlich Liebstöckel und oxidativen Noten. Das wurde zwar mit Luft etwas besser, aber eine störende, pilzige Note blieb. Am Gaumen war der Haut Brion deutlich besser mit Cigarbox, Tabak, feiner Minze, schöner Süße und Mineralität – WT95. Schwierig zu Anfang auch die Nase des 1968 Penfolds Grange, aber die wurde schnell deutlich besser. Einfach irre war, wie der Grange dann aufdrehte. Zu Schwarzer Johannisbeere und Cassis kamen immer mehr Eukalyptus, Minze, Lakritz und dunkle Schokolade. Einfach eine prächtige, süße Fülle entwickelte sich da zu einem einmaligen Grange Erlebnis – WT97. Viel Glück hatten wir da, denn bei den alten Grange mit ihren miserablen Korken gibt es viel Flaschenvariationen und zahllose Ausfälle.

Aus dem seltenen, letzten Kriegsjahr präsentierte sich ein 1944 Margaux in überraschender, großer Qualität. Das war ein immer noch so lebendiger, großer typischer Margaux. Ohne Alterstöne zeigte der sich perfekt gereift und sehr elegant und balanciert mit feinem Schmelz und schöner Süße, blieb lang am Gaumen und viel zu kurz im Glas, ein grandioses Altweinerlebnis – WT97. Von seiner besten Seite zeigte sich im anderen Glas 1971 L´Eglise Clinet in einer perfekten Barrière Abfüllung. Exotisch, würzig, elegant und immer noch jugendlich wirkend baute er enorm im Glas aus und legte deutlich zu, zeigte immer mehr Kraft und wurde minziger mit etwas Apotheker Lakritze, dazu kamen feiner Schmelz und ein langer Abgang – WT96.

Ein ziemlich mieses Weinjahr war 1977 fast überall in Europa. Anders sah es in Kalifornien aus. Dort gab es eine kleine Ernte schöner Weine, die gut alterten. Zwei davon bekamen wir jetzt mit diesem Flight. Der 1977 Heitz Bella Oaks von Heitz Cellars zeigte zu Anfang mit deutlichen Brauntönen in der Farbe und leichter Liebstöckel Nase die ja immerhin 45 Jahre recht deutlich. Frucht war weitgehend Fehlanzeige, dafür mehr tertiäre Aromen, immer mehr altes Leder und feuchter Waldboden, dazu brachte die gute Säure noch einen Hauch Frische. Immerhin war dieser reife Bella Oaks noch recht gut zu trinken – WT90. Ein Knaller war dagegen der 1977 Heitz Martha´s Vineyard. Einfach supergeil die Nase mit Minze, Eukalyptus und Cola-Süße in bester Martha´s Vineyard Art. Diese explosive Aromatik setzte sich am sehr druckvollen Gaumen und mit gewaltiger Länge fort. Ein Heitz Martha´s ohne Alter zum Niederknien – WT97.

Dumm gelaufen für den lieben Torsten, denn sein gut gereifter 1964 Latour, den ich im letzten Jahr bei einem Weinfreund mit Genuss auf WT94 Niveau trinken durfte und in wenigen Wochen zu dessen 60. Geburtstag wieder erwarte, hatte Kork. Gut gelaufen dagegen für uns, denn so kam seine Reserveflasche zum Einsatz, ein absolut grandioser 1990 Latour. Das war in seiner Jugend mal ein total verrückter, exotisch-üppiger Latour in bester Kalifornien Art. Nach längerer, verschlossener Phase wechselt der ins Charakterfach und zeigt sich jetzt als zwar immer noch blutjunger, aber klassischer Latour. Mit dichter, junger, dunkler Frucht bringt er der die gewaltige Power mit erstaunlicher Grazie rüber, zeigt dabei sogar etwas feinen Schmelz, eine geradezu irre Länge und hat Potential für durchaus noch bis zu 50 Jahre. Dabei mag er sich mit Reife noch etwas verändern, aber perfekt ist er jetzt schon – WT100. Im anderen Glas kam dann einer meiner persönlichen Lieblingsweine, die 1982 Pichon Comtesse. Auch das war nicht mehr diese hedonistische Schmuse-Comtesse der frühen Jahre mit dieser hemmungslosen Opulenz zum beidhändig trinken. Jetzt ist das ein großartiger, typischer Pauillac in erster Reife mit enormer Wucht, Kraft, Dichte und vollem Körper. Hat immer noch kräftige, aber reife Tannine, dazu feinen Schmelz und diesen wunderbaren, typischen Comtesse Charme. Schön, dass das hier wieder eine perfekte Flasche war, und für die gebe ich gerne WT100. Gesagt werden muss hier aber auch, dass beide Weine viel Luft und Zeit brauchten, bis sie ihre volle Klasse offenbaren konnten. Da ist rechtzeitiges 2-3stüngiges Dekantieren angesagt.

Zum Abschluss unserer fantastischen Probe gab es dann noch mal ein gewaltiges Gigantentreffen. Mittendrinn zwischen 1998 Lafleur und 1998 Petrus schlug sich der 1990 Darmagi von Gaja verdammt gut. Der hatte natürlich, relativ frisch dekantiert, den Vorteil der Reife. Zeigte sich aber immer noch recht frisch und jung mit tiefroter Farbe, dichte Frucht mit Schwarzkirsche und Schwarzer Johannisbeere, würzig, mineralisch, enorme Kraft mit toller Struktur und noch präsenten Tanninen – WT97. Das muss wieder eine perfekt gelagerte Ausnahmeflasche gewesen sein. 1998 Petrus war unschwer zu erkennen. Immer noch blutjung, aber Hedonismus pur, einfach der helle Wahnsinn mit Potential ohne Ende, Petrus vom Allerfeinsten, ein Wein der einfach von Allem alles hatte, und das reichlichst – WT100. Recht verschlossen wirkte zu Anfang der dichte, kräftige 1998 Lafleur der dann aber förmlich explodierte mit der typisch kräuterig, lakritzigen Aromatik, erster, feiner Süße und Länge ohne Ende – WT100.

Ja, das war schon alles gewaltig. Schnell wurden weitere Termine gemacht. Und auch die legendäre Magnum Best Bottle haben wir schon ins Auge gefasst.