Wunderbar im Wunderbrunnen

Eine feine Probe war das mal wieder im Wunderbrunnen in Opfikon. Eigentlich war an diesem Samstag geschlossen, aber Roger Hirzel, selbst großer Weinfreak, machte extra für uns auf, und seine bezaubernde Nadja verwöhnte uns zu großen Weinen kulinarisch auf hohem Niveau. Vorab hatten wir bereits unsere Wünsche aus der schlichtweg atemberaubenden, zigtausend Positionen umfassenden Weinkarte des Wunderbrunnens angemeldet. Bei denen blieb es natürlich nicht, zumal auch der liebe Roger kräftig selbst Weine anstellte.

Als Apero starteten wir im Keller des Wunderbrunnens mit einem meiner Lieblingschampagner, der 2010 Agrapart Champagne Grand Cru Vénus Brut Nature Blanc de Blancs. Diese Venus war natürlich noch viel zu jung, aber schon so betörend, vibrierend und hoch elegant, so frisch mit Zitrusfrucht, frischem Gebäck, mit kalkiger Mineralität und sehr guter Säure, wird gut altern und dabei deutlich an Tiefgang und Komplexität gewinnen – WT94+.

Klar hatten wir bei den Tiefgrabungen in der riesigen Wunderbrunnen-Karte nach bezahlbaren Trouvaillen gesucht, wie sie auf normalen Restaurantkarten nicht mehr zu finden sind. Klar musste ich da beim 2001 Singerriedel Riesling Smaragd von Hirtzberger zuschlagen. Der wirkte immer noch jugendlich, sehr würzig, mineralisch mit enormer Kraft und Fülle und blieb lang am Gaumen – WT96.

Dann stellte uns Roger zwei der sehr gesuchten, alten Vinedo Chadwick von Errazuriz auf den Tisch. Der 1999 Vinedo Chadwick war immer noch voll da, sehr dicht, kräftig mit dunkler Frucht – WT95. Der 2000 Vinedo Chadwick, der 2004 das legendäre Berlin Tasting gegen mächtige, internationale Konkurrenz gewann, zeigte sich deutlich reifer, sowohl in der Nase als auch in der Farbe, nur am Gaumen war er noch sehr druckvoll mit enormer Länge, dürfte seine große Zeit lange hinter sich haben – WT92.

In sehr gutem Zustand kam dann die perfekt gereifte 1959 Pichon Comtesse de Lalande ins Glas. Das war schon traumhaft, diese Nase, immer noch mit feiner, rotbeeriger Frucht, mit Tabak, Kaffee und dunkler Schokolade. Und dann dieser göttliche Schmelz am Gaumen, diese seidige Eleganz und dieser typische Comtesse Charme, da waren meine WT96 für diesen immerhin 65 Jahre alten Wein schon eigentlich fast geizig. Auch dieser zeitlos schöne 1985 Lynch Bages konnte begeistern mit immer noch kräftiger Farbe, dichter, rotbeeriger Frucht, viel Paprika und guter Mineralität. Mit seiner noblen Struktur dürfte dieser Lynch Bages sicher noch gut weiter altern – WT95. Ein Knaller war natürlich der 1990 Lynch Bages, der sich mit dem grandiosen 89er einen heftigen Wettstreit liefert und dabei stets der opulentere, hedonistischere, fülligere war. Vor etlichen Jahren (2017) hatte ich das Gefühl, dass er eine schöpferische Pause einlegt. Aber die dürfte inzwischen vorbei sein. Hier war er jetzt so jung und dicht mit traumhafter, animierender Frucht, mit enormer Kraft und großartiger Länge, schien sogar noch weiter zulegen zu wollen – WT98+. Danach passte der typische, dunkelfruchtige, füllige 1997 Shafer Hillside Select mit seiner verschwenderischen Süße perfekt – WT97.

Und dann kamen wir zu einem meiner Lieblingsjahrgänge in Bordeaux. 2000 ist ein großer klassischer Bordeaux Jahrgang mit superben Weinen, die herrliche Frucht mit großartiger Struktur und einem kräftigen Gerüst reifer Tannine für längere Alterung verbanden. Im ersten Glas ein Spätstarter, der zu Anfang sehr unterschätzte 2000 Figeac. Der hat sich in den letzten Jahren prächtig entwickelt und zeigt sich jetzt als großer, kompletter Figeac, immer noch so jung, dicht, kräftig und füllig mit toller Frucht und sicher noch langer Zukunft – WT96. Im anderen Glas einer meiner Lieblingsweine, der 2000 Leoville Poyferré, in diesem Jahrgang wohl der beste aller Leovilles. Zugänglich und voll trinkbar wirkend mit einfach fantastischer Frucht und auch etwas Opulenz zeigt er enorme Kraft und großartige Länge, viel Graphit und eine exzellente Struktur mit viel Potential für eine lange Zukunft – WT96. Dürfte noch zulegen, was mir angesichts meiner großen Bestände in diversen Flaschenformaten, alle En Primeur gekauft, ein gutes Gefühl vermittelte. Immer wieder kommt bei solchen noch so jugendlichen Boliden die Frage des Dekantierens. Ich bin inzwischen von all diesen Unarten des Ewig-Dekantierens und des Doppelt Dekantierens weg. Mit reichen 30 bis 60 Minuten, weil ich mir eigentlich diese göttliche, junge Frucht erhalten möchte.

Sehr, sehr dicht, sehr kräftig, druckvoll und würzig der 2013 Ornellaia, dem irgendwo die Eleganz und Finesse der früheren Jahre (2001 und davor) fehlt. Die Zeit mag es richten – WT94+.

Nichts anfangen konnte ich mit diesem sehr reifen 2008 Cissac, der mehr nach altem Fahrradschlauch als nach Wein roch, großzügige WT87 für den kleinen Preis. Da gefiel mir der 1986 La Mission Haut Brion trotz seiner immer noch teilweisen Verschlossenheit deutlich besser. Immer noch ein typisches, von massiven Tanninen geprägtes, typisches 86er Weinbaby mit prächtigen Anlagen – WT94+. Und dann war da noch dieser in seiner Jugend eher unscheinbare 1989 La Gaffelière, der jetzt mit 35 Jahren in der Reife richtig aufblüht. Ein sehr schöner, klassischer, eleganter St. Emilion mit rauchiger Nase, dunkler Kirsche, Weihnachtsgewürz, so weich und mineralisch mit guter Länge – WT95.

Der Abend neigte sich langsam dem Ende zu. Da bestellte ich zur Erfrischung noch diesen 2021 Riesling vom Brummelochsenboden, Dalsheimer Sauloch vom Weingut Müller-Dr. Becker. Frisch, kräuterig, würzig, mineralisch mit guter Säure – WT90. Es war nicht der Brummelochse, der mich hier reizte, sondern der Name des Weingutes, als ob mein Freund Jörg Müller aus Sylt und ich die Besitzer wären.

Doch da hatten wir die Rechnung ohne den lieben Roger gemacht. Der zauberte erst noch einen prächtigen 2009 Gantenbein Pinot Noir aus dem Keller, so einen verführerischen, burgundischen Traum – WT95. Und Roger wäre nicht Roger, wenn er da nicht noch einen draufgesetzt hätte. Dieser 2008 Chateau Rayas Chateauneuf-du-Pape Reserve aus eigentlich schwierigerem Chateauneuf Jahr brillierte als so eine Art Betthupferl XXXL. Süße und einfach dekadent leckere (der unter Weinfreaks verpönte Begriff lecker passt hier richtig) Frucht, allerfeinste, reife Erdbeere, Opulenz, Eleganz und Hedonismus mit burgundischen Konturen, reif, voll da und mit hohem Suchtfaktor – WT97.

Ein großartiger Abend war das in diesem unglaublichen Mekka des Weines. Herzlichen Dank dem so liebenswerten Gastgeberpaar. Und möge der liebe Roger weiterhin ein glückliches Händchen beim Kauf weiterer Weinkeller haben, damit der gewaltige Spannungsbogen der Karte nicht nachlässt und der Wunderbrunnen kräftig weitersprudelt